Martin Kaske, Schweizer Kälbergesundheitsdienst
Die Tierwohlprogramme wurden bereits 1993 (RAUS; "Regelmässiger Auslauf im Freien") bzw. 1996 (BTS; "Besonders tierfreundliche Stallhaltungssysteme") etabliert. Sie proklamieren höhere Anforderungen an die Haltungsbedingungen als die Tierschutzverordnung. Damit sind zusätzliche Leistungen des Landwirts erforderlich, die durch Zahlungen gemäss der Direktzahlungsverordnung 910.13 kompensiert werden. Der Anteil der am RAUS-Programm teilnehmenden Betriebe erhöhte sich in den zurückliegenden Jahren und lag 2021 bei 87.3 % (Agrarbericht 2022). Bio Suisse- sowie IP-Suisse Betriebe müssen ohnehin stets die RAUS-Anforderungen erfüllen.
Die spezifischen Anforderungen für Rinder sind in Anhang 6, Abschnitt B, aufgeführt. Primär geht es um die Vorgabe von Mindestgrössen der Auslaufflächen in Abhängigkeit von Alter, Gewicht bzw. Nutzungsart (Kühe, Zuchtstiere). Zudem wird ein Anteil der Auslauffläche vorgegeben, der ungedeckt zu sein hat. Speziell für Kälber im Alter von weniger als 120 Tagen gilt gemäss 2.7., dass diese Zugang zu einer ungedeckten Fläche von mindestens 1.0 m2 haben müssen - bei einer minimalen Gesamtfläche von 3.5 m2. Während das Grundkonzept der Tierwohlprogramme vollumfänglich von KGD und RGS unterstützt wird, ist die Vorgabe einer ungedeckten Auslauffläche für sehr junge Kälber aus unserer Sicht nicht tiergerecht und dem Tierwohl nicht förderlich.
Der Schweizer Kälbergesundheitsdienst ist im Rahmen der Bestandesdiagnostik regelmässig auf Milchvieh- und Mastbetrieben, um dort gehäufte Probleme mit Jungtiererkrankungen abzuklären. Dazu gehört die Erfassung von Risikofaktoren im Kontext mit Haltung, Fütterung und Hygiene. Immer wieder fällt dabei auf, dass Kälberiglus im Freien aufgestellt werden bzw. Mastkälber im Auslaufbereich ungeschützt zur Wetterseite stehen, um die RAUS-Anforderung einer ungedeckten Auslauffläche zu erfüllen – mit teilweise verheerenden Konsequenzen für die Tiergesundheit. Auch auf Mastbetrieben – insbesondere in den Bergregionen – führt der ungedeckte Auslauf in den Wintermonaten überdurchschnittlich häufig zu gesundheitlichen Problemen, indem das Fell der Kälber bei Schnee und Regen durchnässt und die Wärmeregulation des Körpers gestört wird.
Der KGD hält deshalb diese RAUS-Vorgabe für kontraproduktiv im Hinblick auf die Tiergesundheit. Stattdessen empfehlen wir, eine Überdachung des Auslaufbereiches als zulässig anzusehen - und zwar aus folgenden Gründen:
Ein zentrales Problem der Iglu-Haltung und der durch Wände begrenzten Ausläufe ist zudem die starke Erwärmung des Liege- bzw. Aussenbereiches der Tiere in den Sommermonaten. Die für das Tier optimale Beschattung durch das Aufstellen der Iglus unter grösseren Bäumen ist aufgrund gesetzlicher Umweltvorgaben nicht möglich. Eine Überdachung ist eine zentrale Voraussetzung, um eine tiergerechte Haltung auch während der heissen Jahreszeit zu ermöglichen. Der Aufenthalt der Kälber im Freien wird mit einer Überdachung gewährleistet, indem die Frischluft sowie die Sonneneinstrahlung ganztägig bzw. teilweise (tägliche Sonnenlaufbahn) vorhanden sind.
Letztlich erkennen wir kein stichhaltiges Argument, warum ein explizit nicht überdachter Bereich für die jungen Kälber vorteilhaft sein könnte – das artgerechte Verhalten kann aus unserer Sicht sogar eher in einem durch Überdachung geschützten Bereich bei optimaler Luftqualität ausgelebt werden. Um nicht missverstanden zu werden, möchten wir betonen:
Zusammenfassend beantragt der Kälbergesundheitsdienst, die im Anhang der Direktzahlungsverordnung 910.13 aufgeführte Anforderung einer minimal ungedeckten Fläche von 1.0 m2 für Rinder im Alter von weniger als 120 Tagen zu streichen. Wir bereiten eine entsprechende Eingabe vor, um deren Unterstützung durch die Produzentenorganisationen wir uns gegenwärtig bemühen.
Für allfällige Rückfragen, Kritik und Anmerkungen stehen wir jederzeit zur Verfügung (info@rgs-ntgs.ch oder martin.kaske@kgd-ssv.ch) und nehmen diese als Diskussionsbeiträge im nächsten Newsletter gern mit auf.
Beispiel einer simplen Trägerkonstruktion mit Trapezblechen, die einen trockenen Auslaufbereich der Kälber unter Aussenklimabedingungen gewährleistet.